Gedanken zur Jahreslosung 2023

Bist du ein Gott, der mich sieht?

Was steckt hinter der Jahreslosung für das neue Jahr? Hans Kolthoff teilt seine Gedanken mit uns

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Du bist ein Gott, der mich sieht.

1. Mose 16,13

In den Vätergeschichten des Alten Testaments finden wir die Geschichte von Hagar, der Nebenfrau Abrahams. Als Hagar ein Kind von Abraham erwartet, wird Sarai, die kinderlose Ehefrau, eifersüchtig auf ihre Rivalin und demütigt sie, wo sie nur kann. Schließlich wird Hagars Lage so unerträglich, dass sie davonläuft. Nichts wie weg aus den unmenschlichen Verhältnissen! Immer nur gedemütigt zu werden, ist keine Lösung. Immer nur funktionieren zu müssen, ohne dass einer nach mir fragt, ist der Tod mitten im Leben. "Sarai ließ Hagar die niedrigsten Arbeiten verrichten", so der biblische Erzähler; "da lief sie davon." Was macht es da schon, wenn die Hochschwangere ihr Leben aufs Spiel setzt? Doch diese Flucht führt sie geradewegs in die Arme Gottes. Die Bibel erzählt, wie sie in der Wüste einem Engel begegnet. Als dieser sie nach dem Woher und Wohin fragt, kann sie kein Ziel angeben - sie weiß nur, was sie nicht mehr will. Eine Perspektive hat sie nicht; wohin sie auch sieht - nur Einöde und Sand.

Was soll jetzt aus ihr werden? Die werdende Mutter ist komplett isoliert, ohne menschlichen Beistand; zurück will sie aber auch nicht mehr. Und doch hat sie sich noch nicht ganz aufgegeben. An einem Brunnen macht sie Rast und schöpft neue Kraft. Sie unterbricht ihre Flucht und lässt sich in ein Gespräch verwickeln, das eine Wende einleitet. Ein Engel wendet sich ihr zu - oder führt sie nur einen inneren Dialog? So oder so - sie kommt in Kontakt mit einer anderen Wirklichkeit und erfährt dabei etwas Neues: Interesse an ihrer Person, echte Wertschätzung. Die Welt, aus der Hagar kommt, hat sie zum Spielball gemacht. Da hat sie gelernt: Ich bin nur gut, solange ich funktioniere und mitspiele. In der Welt Gottes, die ihr in dem Engel begegnet, erfährt sie - vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben - ein Gegenüber, das sie nicht nur als Arbeitskraft oder als Sexobjekt, sondern als Person anschaut. "Du bist der Gott, der mich anschaut." "Hagar, Sklavin Sarais! Woher kommst du? Wohin gehst du?"

Woher kommst du? Wohin gehst du? Was möchten wir am liebsten hinter uns lassen? Wie verbaut sind unsere Perspektiven? Zum Jahresanfang wünsche ich allen Lesern so eine ganz persönliche Begegnung mit dem "Gott, der uns sieht" und unserem Leben eine neue Perspektive geben kann - an seiner Hand.

Hans Kolthoff ist Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde | Baptisten in Karlsruhe.

Dieser Beitrag ist erschienen im Gemeindebrief "mal eben" 1/2023.

Das Bild links hat Evi Schöps aus Heimsheim gemalt und uns mit freundlicher Erlaubnis zur Darstellung freigegeben.