Auf dem Weg zur Heilung seelischer Verletzungen

Innere Heilung

Conny Edel ist psychologische Beraterin und schreibt in diesem Beitrag über die Heilung seelischer Verletzungen

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Innere Heilung: auf dem Weg zur Heilung seelischer Verletzungen

ein Beitrag von Conny Edel

"Das hat mich ganz schön verletzt!" "Das werde ich dir nie verzeihen!" "Wieso gehst du so mit mir um?" "Ich fühle mich immer schuldig, wenn ich mit ihr/ihm rede." "Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich so schräg bin." "Das tut so weh, dass sie nicht mehr da ist." "Warum meinen Menschen, dass sie auf mir immer rumtrampeln dürfen?" "Mit mir hält es niemand länger aus." "Das war einfach eine schreckliche Erfahrung. Das möchte ich nie wieder erleben."

So oder so ähnlich klingt es, wenn Menschen seelisch verletzt, in ihrem Innersten verletzt sind. Nicht immer kann man es hören, oft ist da nur noch Rückzug, Einsamkeit, verlassen sein, weil der Mensch es nicht mehr formulieren kann oder will. Aus Angst, doch wieder nur Ablehnung zu erfahren, wieder nicht gehört zu werden, dass sich doch nichts ändert …

Wie kommen wir raus aus diesem Kreis, aus diesem Schneckenhaus, aus diesem sich immer wiederholenden Erleben?

Vielleicht hilft uns ein Blick auf eine körperliche Verletzung. Was ist da geschehen? Wir haben uns etwas gebrochen, wir haben uns geschnitten, etwas hat uns zu Fall gebracht und wir haben uns Hautschürfungen zugezogen, ein Unfall hat zu Verletzungen innerer Organe geführt … auf jeden Fall "funktioniert" irgendein Körperteil nicht mehr so, wie er normalerweise funktionieren sollte.

Dann braucht es zuerst eine "Diagnose", was denn nicht mehr funktioniert, an welcher Stelle es eine Verletzung gegeben hat und wie die Verletzung heißt. Nicht immer brauchen wir dazu einen Fachmann, eine Fachfrau, manchmal ist es uns sehr schnell klar. Es ist uns klar heißt, wir akzeptieren zuallererst, dass es so ist. Dann wünschen wir uns Heilung. Vielleicht reicht ein Pflaster auf die Schnittstelle und wir vertrauen darauf, dass es von alleine heilt. Vielleicht muss ein gebrochenes Körperteil geschient oder mit einer Gipsmanschette ruhiggestellt werden, dass es sich erholen und wieder neu zusammenwachsen kann. Vielleicht brauchen wir ein bisschen Reinigung und Desinfektion und Sauerstoff, dass eine Schürfwunde wieder heilt. Oder aber wir brauchen eine Operation, dass das verletzte innere Organ wieder heilt. Wir merken schon, es gibt keine Standardhilfe, die für alles gut ist. Wir müssen uns mit der Verletzung beschäftigen und nach der "richtigen" Hilfe suchen — mit oder ohne Unterstützung. Und wenn wir dann wieder fit sind, bleibt auf jeden Fall eine Narbe, ein schwächeres Organ als vor der Verletzung. Es bleibt, dass wir trainieren müssen, dass das verletzte Körperteil wieder seine vorherige Funktion übernehmen kann.

Herr, du hast mich erforscht und kennst mich genau. Ob ich sitze oder stehe: Du weißt es. Meine Absicht erkennst du von fern. Ob ich gehe oder ruhe: Du merkst es. Alle meine Wege sind dir bekannt. Ich danke dir und staune, dass ich so wunderbar geschaffen bin. Ich weiß, wie wundervoll deine Werke sind.

Psalm 139, 1 – 3.14

Bei seelischen Verletzungen ist das kein bisschen anders.

Wir alle haben Bedürfnisse, die unser Wohlempfinden beeinflussen. Wir wollen geliebt sein, anerkannt bzw. wertgeschätzt werden, gesehen werden, im Kontakt sein mit anderen Menschen, unversehrt sein, uns sicher fühlen, in mehr oder weniger harmonischen Beziehungen leben … Diese Bedürfnisse haben wir von Beginn unseres Lebens an und sie begleiten uns bis an unser Lebensende. Wobei bei jedem Menschen die Bedürfnisse unterschiedlich groß sind und sich im Laufe unserer Lebensabschnitte immer mal wieder verändern. Unser aller Wunsch ist es, dass diese Bedürfnisse befriedigt werden. Immer dann, wenn ein Bedürfnis besonders stark ist oder besonders wenig beachtet wird, immer dann, wenn uns das Leben gerade besonders wenig Bedürfnisbefriedigung gibt, dann entstehen innere Verletzungen.

In unserer Kindheit beispielsweise sind wir besonders abhängig von anderen Menschen, weil wir vieles noch nicht selbst können. Das heißt, unser Bedürfnis nach Zuwendung, nach Wertschätzung, nach Hilfestellung, nach einer guten Balance zwischen Autonomie und Anpassung braucht die besondere Erfüllung durch die uns begleitenden Erwachsenen. Nein, wir kommen jetzt nicht an den Punkt, dass die Eltern sowieso an allem schuld sind, was uns als Erwachsene schmerzt. Sehr viele Eltern geben sich Mühe, die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen und ihnen zu entsprechen. Aber ganz egal, wie auch immer Eltern sich ihren Kindern zuwenden, sie werden es nicht schaffen, alle Bedürfnisse zu jeder Zeit zu befriedigen. Und das gilt ja nicht nur für die Eltern, sondern auch für viele andere Erwachsene, die ein Kind beim Großwerden begleiten. Dabei entstehen Schmerzen, die wir als Erwachsene immer noch spüren können — nicht unbedingt müssen.

Und dann gibt es Situationen, die uns im Leben begegnen, ohne dass irgendjemand tatsächlich dafür die Verantwortung übernehmen muss. Da sterben ganz wichtige Menschen und lassen uns zurück — mit einem Gefühl von Verlassenwerden, von Einsamkeit, von Unsicherheit … Oder wir verlieren einen Arbeitsplatz oder bekommen keinen Ausbildungsplatz und fühlen uns ganz orientierungslos, vielleicht auch hilflos ausgeliefert, ziellos. Wir irren eine Weile durch das Leben und unser Bedürfnis nach Sicherheit, nach sozialer Anerkennung, nach Wertschätzung bekommt einen ziemlichen Knacks. Darüber hinaus fügen uns andere Menschen, denen wir Wichtigkeit in unserem Leben zugestehen, Verletzungen zu. Manchmal auch immer wieder die gleichen Menschen, vielleicht ohne es zu merken.

Last but not least gehen wir ziemlich oft nicht wirklich sehr liebevoll mit uns selbst um. Wir erwarten, dass andere uns das geben, was wir uns erhoffen und sorgen nicht selbst gut für uns, z.B., indem wir uns abgrenzen, indem wir anderen Menschen Grenzen setzen in ihrem Umgang mit uns, indem wir sehr klar sagen, was wir gerne möchten und nicht still und heimlich hoffen, dass unser Gegenüber das jetzt doch endlich mal merken soll!

Und wie kommen wir jetzt da wieder raus?

Schauen wir nochmal nach oben zu dem Abschnitt, wie wir mit körperlichen Verletzungen umgehen. Zuallererst müssen wir hinschauen, feststellen und annehmen, dass wir verletzlich sind und dass wir vielleicht gerade oder über einen längeren Zeitraum oder vor langer Zeit verletzt wurden. Wir brauchen eine Diagnose. Und wir brauchen den Mut uns einzugestehen, dass da etwas in uns ist, was uns auf Dauer nicht guttut. Vielleicht stellen wir fest, dass wir schon sehr lange von jemandem sehr enttäuscht sind, dass wir verärgert oder wütend sind und wir diese Gefühle gut konserviert haben und ihnen immer wieder neue Nahrung geben. Nicht falsch verstehen: Enttäuschung, Wut, Ärger gehören zu unserem Leben dazu und sind keineswegs "negative" Gefühle. Sie drücken aus, was wir über eine Situation denken und wie es uns dabei geht. Aber sie helfen uns auf Dauer nicht, weil sie uns an eine schwierige Situation binden und uns damit unfrei machen. Dann ist der erste Schritt, dass ich mir bewusst mache, dass dieser Umgang mit einer Kränkung, einem unbefriedigten Bedürfnis, einem Konflikt mir selbst nicht guttut. Und dann einen neuen Weg gehen, z. B. ins Gespräch gehen mit dem Menschen, der mich verletzt hat, oder nachfragen, ob das, was ich verstanden habe, auch das ist, was der andere mir sagen wollte. Oder klare Grenzen setzen. Oder mit meiner Trauer zu einem Menschen gehen, der mich trösten kann. Oder einen anderen Menschen aus meinem Schuldspruch entlassen — weil er uns beiden nicht guttut. Und dann vielleicht ein anderes Miteinander vereinbaren.

Und was hat Gott mit all dem zu tun? Wenn wir darauf warten, dass Gott uns Pflaster auf die Seele klebt und wir endlich Recht haben, dass wir andere in die Pflicht für unser vielleicht an manchen Stellen anstrengendes Leben nehmen, dann haben wir etwas ganz Grundlegendes in seiner Zuwendung zu uns noch nicht verstanden. Gott will kein Pflastermanager sein. Er ist der, der unserer Bedürfnisse zutiefst kennt und keines davon vernachlässigt. Er hat uns als unser Schöpfer gewollt – und zwar so wie wir sind. Wir sind kein an manchen Stellen misslungenes Versuchsstück, sondern rundum geliebtes Kind Gottes und von daher ganz in seiner Zuwendung, seiner Geborgenheit, seiner Sicherheit. Und ein zweites hat er uns geschenkt: Es gibt nichts, was unser Leben schwer macht, was er nicht selbst in der Gestalt von Jesus erlebt hätte. Es gibt nichts, was er nicht versteht. Da gibt es keine Missverständnisse zwischen Jesus und uns. Kein „du weißt ja nicht, wie es mir geht“. Nein, immer ein „ich verstehe dich, ich bin ganz bei dir, ich will dir immer zuhören, meine Liebe zu dir ist grenzenlos“. Das, was uns oft als bedingungslose Beziehung unter Menschen fehlt, bietet Gott uns jeden Tag, jede Stunde, zu jeder Zeit an. Wenn das kein Grund für ein fröhliches Ja zu unserem Leben ist!

Ich danke dir und staune, dass ich so wunderbar geschaffen bin. Ich weiß, wie wundervoll deine Werke sind.

Conny Edel ist psychologische Beraterin. Sie engagiert sich im OHIO e.V. in der Lebensberatung. Mehr dazu finden Sie in unserem Bereich Sozialdiakonie und unter www.ohio17.de/psychologische-beratung.

Diese Beitrag ist erschienen im Gemeindebrief "mal eben" 11/2022.